Erzählen Sie uns doch kurz etwas über sich.
Vorneweg: Wir, Carmen und Robert mit unseren drei Kindern Anju (9 Jahre) Lou (7 Jahre) und Ava (2 Jahre), sind eine ganz normale Schweizer Familie mit dem Unterschied, dass wir statt in der Schweiz im Yukon leben. Unser Aufbruch im Frühsommer des Jahres 2004 war nicht spektakulär oder gar filmreif à la «Auf und davon». Es gab weder tränenreiche Abschiedsszenen noch stressige Situationen mit Übergewicht am Check-In-Schalter. Unseren Lieben zuhause sagten wir nicht «Adieu», sondern «auf Wiedersehen». Wir waren uns nicht klar darüber, ob wir wirklich in Kanada leben wollten. Noch waren wir fest mit der Schweiz verbunden und den Segnungen der Wohlstandsgesellschaft zugetan. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Es sollten sechs Jahre ins Land ziehen, bis wir für eine knapp dreiwöchige Stippvisite die Schweiz besuchen würden.
Im kanadischen Yukon erwartete uns ein kitzekleines doppelgeschossiges Cabin. Knapp 12 Quadratmeter. Ohne Strom, ohne fliessendes Wasser, ohne Telefon und Internet. Mit von der Partie waren unser noch ungeborenes erstes Kind und unsere beiden Husky-Mischlinge Frosty und Sky. Und eine schwer erklärbare Sehnsucht nach einem anderen Leben.
Wir planten erst mal eine Auszeit! Wir wollten die Geburt unseres ersten Kindes und die anschliessenden Monate gemeinsam verbringen. Heute, zehn Jahre später, leben wir mit unseren drei Kindern, sechs Hunden, zwei Katzen, einem Esel, einem Schaf und sechs Wachteln an «unserem» Fluss, dem wunderschönen Wheatonriver, umgeben von Wäldern und Bergen.
Wir sehnen uns manchmal nach warmen Sandstrand, Frühlingsblumen, blühenden Obstbäumen und natürlich nach unseren Angehörigen. Wir möchten wieder einmal in einer Dorfbäckerei Süssgebäck aussuchen, am Abend zu zweit essen gehen und anschliessend ins Kino. Wir würden sooo gerne unsere lebhaften Kinder den Grosseltern in Obhut geben und ein verlängertes Wochenende in einem Wellnessort geniessen oder durch uns unbekannte Einkaufstrassen bummeln. Schon einmal richtig lange ausschlafen und am Nachmittag ein Buch lesen wäre wunderbar. Wir vermissen viele kleinen (un)wichtigen Dinge, die das Leben farbig machen. Auf viele Annehmlichkeiten der Zivilisation müssen wir hier verzichten. Dafür sind wir mit Anderem verwöhnt. Wir haben hier ein kleines Paradies gefunden. Und mit uns teilen drei gesunde, lebhafte, aufgeweckte Kinder und Tiere das lebenswerte Leben. Um uns herum gibt es nur unberührte Natur und wir haben das Gefühl von grenzenloser Freiheit.
Wir sind hier glücklich, glauben aber, dass wir es in der Schweiz auch wären. Eine gute Fee meint es gut mit uns.
Was hat Sie dazu bewogen, Kanada zu Ihrer festen Heimat zu machen?
Gegenfrage: Was ist fest im Leben? Momentan leben wir hier, und für uns ist es richtig so. Unsere Kinder und wir sind gesund. Dafür sind wir unendlich dankbar! Nur so ist es möglich, hier in der Wildnis zu leben, wie wir das tun. Wie lange wir dies können und wollen wissen wir nicht. Wie gesagt: Nichts ist fest, nichts für immer in Stein gemeisselt. Solange es geht, wollen wir offen sein für Neues. Oder anders ausgedrückt: das einzig Beständige ist die Veränderung. Ein wichtiger Grund, dass wir hier Wohnsitz haben, ist die grosse Freiheit, die uns das Leben hier bietet. Unser Leben verläuft nicht nach Fahrplan, nicht im Takt. Vielmehr ist es geprägt von zyklischen Abläufen, die uns die Natur auferlegt und nach denen wir uns zu richten haben. Die Wildnis gibt das Tempo vor. Das zu akzeptieren fällt uns allerdings nicht immer leicht. Aber jeder Tag ist dadurch in irgendeiner Weise eine neue Herausforderung.
Wie gestaltet sich das Leben in Kanada für Kinder?
Ein guter Freund, der jetzt in Vancouver lebt, hat einmal angemerkt, Vancouver sei die Welt und der ganze Yukon sei ein Dorf. Leben im Yukon ist nicht einfach Leben in Kanada. Je nach Ort und Gegend gibt es markante Abweichungen. Es ist zum Beispiel auch ein grosser Unterschied, ob Kinder in der Stadt Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon Territoriums, aufwachsen, oder so wie hier in der Wildnis. Unser Haus hat eine einzige Türe. Da geht es raus oder rein. Wir besitzen kein Badezimmer, keine Waschmaschine, keine Abwaschmaschine, keine Zentralheizung, keinen Fernseher und auch keine Mobiltelefone, weil es hier kein Netz gibt. Die einzigen elektronischen Geräte, die wir benutzen, sind Laptop, Staubsauger, Kaffeemaschine, neuerdings ein Kühlschrank und das Telefon. Das Internet funktioniert über Satellit und das oft mehr schlecht als recht. Wir alle waschen uns in einem grossen Waschbecken und etwa einmal im Monat in der Badewanne im Saunahäuschen. Der nächstgelegene Ort mit Einkaufsmöglichkeiten ist das 65 Kilometer von unserem Haus entfernte Whitehorse. Dort waschen wir in einem Waschsalon auch unsere Kleider.
Anju und Lou müssen um 06.15 Uhr aufstehen, damit sie eine Stunde später an der Annie Lake Rd. stehen, wo sie in den Schulbus steigen. Nach knapp 1.5 Stunden Fahrt treffen sie in der Schule ein. Um 16.30 Uhr sind sie wieder daheim. Ein wesentlicher Unterschied ist ihr Schulweg. Dieser führt durch den Wald und vor allem im Winter, wenn die Natur tief zugeschneit ist, können wir Tierspuren lesen. Wir als Eltern müssen keine Angst haben, dass die Kinder eine stark befahrene Strasse überqueren müssen. Hingegen müssen wir vor allem im Frühjahr und im Herbst auf der Hut sein, dass wir nicht auf einen Schwarz- oder Grizzlybären treffen, der nach frischem Futter sucht oder noch so viele Beeren wie möglich fressen will, bevor sein Winterschlaf beginnt.
Wir sind froh, dass unsere Kinder nicht der ständigen Medienpräsenz ausgeliefert sind. Games, Playstation, TV, Mobiltelefone sind ihnen fremd. Oft bleibt ihnen nichts anderes übrig als sich selber zu beschäftigen, weil wir nicht immer Zeit finden, um uns mit ihnen zu beschäftigen. In unmittelbarer Nähe befindet sich auch kein Hallenbad, kein Kino, keine Einkaufmeile, kein Spielsalon, kein Jugendtreff. Dafür Natur pur in rauen Mengen. Oft sind die Kinder im Winter auf dem gefrorenen Wheatonriver am Schlittschuhlaufen, oder wir schnallen die Langlaufskier an, um auf unserer eigenen Loipe unterwegs zu sein. Von Nachteil für sie ist die Distanz zu gleichaltrigen Spielkameraden. Auch auf spontane Besuche bei Grosseltern, Patin, Paten oder Cousinen und Freunden müssen sie verzichten. Wir überlegen uns mitunter, ob wir das Recht haben, unsere Kinder so aufwachsen zu lassen. Wir glauben aber zu wissen, dass sie hier sehr glücklich sind.
Welche Unterschiede gibt es zum Leben in Europa?
Es gibt in der Tat unglaublich viele Unterschiede, sie alle aufzuzählen würde ins Uferlose führen. Belassen wir es also bei einer Kostprobe: Wir schauen ab und zu via Internet die Tagesschau des Schweizer Fernsehens. Schliesslich wollen wir den Faden zur alten Heimat nicht ganz verlieren. Der Sprecher von Meteo teilt mit, dass die Schweiz unter sibirischer Kälte von -5 Grad leidet. Bei uns pendelt das Thermometer seit drei Monaten um die -35 Grad Marke. Mit der Folge, dass unsere Trinkwasserquelle eingefroren ist. Das Abwasser will auch nicht mehr richtig ablaufen. Also marschieren wir, mit Pickel und Beil bewaffnet, zum nahe gelegenen Wheatonriver und machen uns daran, ein Loch in die meterdicken Eisschicht zu hacken, damit wir wieder zu Trinkwasser kommen. Nach über einer Stunde Eispickeln mit mässigem Erfolg platzt uns der Kragen. Robert greift zur Motorsäge und sägt das Loch bis zur Wassertiefe aus. Der Wasserdruck, der unter dem Eis herrscht, füllt unser Eisloch sekundenschnell mit kristallklarem Wasser. Dieses Loch ist für den Rest des Winters unsere Trinkwasserversorgung. Allerdings dauert der Winter hierzulande bis Ende April. Bis die Quelle vollends aufgetaut ist, dürfte es Anfang Juni werden. Das sprudelnde Flusswasser, das nun über die bestehende Eisschicht schwappt, hat durchaus sein Gutes. Auf der karstigen Oberfläche bildet sich eine riesige glatte Eisbahn. Oft gehen die Kinder nach Schulschluss zum Schlittschuhlaufen und geniessen bei -20 Grad ihr Hockeyspiel. Noch ein kleiner Unterschied: Unser WC-Häuschen, das diesen Namen nicht verdient, weil kein Wasser zum Spülen da ist, befindet sich im Freien und heisst deshalb Outhouse. Hier liegen – anders als in zivilisierteren Toiletten – keine Zeitungen und Magazine auf, denn kein Mensch käme auf die Idee, bei den erwähnten Minustemperaturen länger als nötig am stillen Örtchen zu verweilen.
Was „typisch Kanadisches“ möchten Sie nicht mehr missen?
Das ist eine einfache Frage und schnell zu beantworten: Es ist die unendliche Weite, die riesigen Wälder, die saubere Luft und unser freies Leben. Aber vor allem ist es die Stille. Seit wir hier leben haben wir etwas gelernt: Auch Stille ist ein Geräusch.
Die preisgekrönte „Kanada for family“ Reise ist seit diesem Jahr im Programm bei For Family. Was ist das Besondere an dieser Reise?
Hier im Yukon mussten wir lernen, dass nicht alles planbar ist. Oft macht uns und unseren unternehmungslustigen Gästen die Witterung einen Strich durch die Rechnung. Im Gegensatz zum Leben in der Zivilisation sind wir hier Teil der Natur, und es ist aussichtslos, sich ihr entgegenstellen zu wollen. Wir müssen mit der Unberechenbarkeit der Natur umgehen und sie akzeptieren. Die Natur ist aber auch voller Wunder. An diesen wollen wir die Kinder und Eltern teilhaben lassen. Die unberührte Wildnis zu erfahren und zu erwandern ist für unsere Gäste ein einzigartiges Erlebnis. Robert ist mittlerweile seit rund 18 Jahren als Guide im Yukon unterwegs. Entsprechend gross ist die Zahl der Menschen, die mit uns unterwegs waren. Viele von Ihnen melden sich wieder und bezeichnen ihren Urlaub hier im Yukon als unvergesslich. Das erfüllt uns mit Stolz und zeigt uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Wie sicher ist die Reise für Kinder?
In all den Jahren, in denen wir erlebnishungrige Trekker und Kanuten fast jeden Alters auf ihren Touren in der Wildnis begleiten durften, ist ausser einem Knöchelbruch nie etwas passiert. Wir sind auch jedes Jahr mit Kindern unterwegs. Wenn sie und die Eltern die Regeln befolgen, die wir ihnen vor der Tour nahelegen, ist das Abenteuer in der freien Natur weit weniger gefährlich als ein ganz normaler Tag in einer Grosstadt. Dennoch nehmen wir das Sicherheitsbedürfnis unserer Gäste ernst. Wir haben auf den Touren stets ein Satellitentelefon, einen Spot-Finder und Bärensprays mit dabei. Zudem gilt im Kanu strikte Schwimmwestentragpflicht.
Kanada – und insbesondere die Gegend von Yukon – bieten viele Abenteuer. Erzählen Sie uns doch, mit welch spannenden Aktionen diese Reise aufwartet.
Sie möchten, dass wir das Geheimnis dieser Reise lüften. So viel können wir verraten: Jeder Tag hier draussen ist ein kleines oder grosses Abenteuer. Wir von Abenteuer Wheatonriver organisieren das Rahmenprogramm. Alles Weitere überlassen wir der Natur.
Welche Dinge sollte man auf keinen Fall beim Packen vergessen und was kann man getrost Zuhause lassen?
Was in den Erlebnisrucksack gehört: gute Laune, ein gutes Buch zum Lesen im Zelt, ein Notizblock und ein Stift, damit man seine Eindrücke und Gedanken festhalten kann. Was ins mentale Gepäck gehört: Flexibilität und die Bereitschaft, sich auf etwas einzulassen, was nicht bis ins letzte Detail geplant werden kann. Und ein absolutes Must: Das altbewährte Stofftaschentuch in der Hosentasche. Wir zeigen unseren Gästen, was man damit in der Wildnis so alles anstellen kann. Was getrost zuhause bleiben darf: Alltagssorgen, Regenwetter, schlechte Laune und alles, was nicht auf unserer Packliste steht.
Für wen eignet sich diese Reise besonders?
In den vergangenen Jahren zählte unsere jüngste Teilnehmerin gerade mal sieben Lenze. Mit dem ältesten Teilnehmer feierten wir gemeinsam mit seinen Enkeln seinen 81sten Geburtstag unter einem herrlichen Sternenhimmel. Wir haben damals sogar einen Kuchen gebacken. Nur die 81 Kerzen hatten wir nicht dabei!
Zu guter Letzt: Warum lohnt sich die „Kanada for family“ Reise? Können Sie uns vielleicht einen Insidertipp geben?
Vielleicht gehört diese Reise für junge Menschen zu den letzten Möglichkeiten, um Natur und Wildnis in ihrer ganzen unberührten Schönheit und Erhabenheit zu erleben. Wir setzen von unserer Seite her alles daran, dass die Reise zu einem prägenden Erlebnis in familiärem Ambiente wird: mit viel persönlichem Engagement und einem wachen Blick für Details. Wir möchten ein bisschen von dem weitergeben, was uns seinerzeit in diese wunderschöne Weltgegend gelockt hat: dieses unbeschreibliche Gefühl, eins mit der Natur und wirklich frei zu sein.
Vielen Dank für das spannende und sehr interessante Interview!